Luna

Manchmal verläuft das Glück über Umwege. So war es zumindest bei mir und der Traberstute Luna.

 

Als ich sie das erste Mal zu Gesicht bekam, war sie ein unüberlegter Mitleidskauf. Auf der Rennbahn ausgemustert wegen einem trüben Auge und Kehlkopfpfeifen, kam sie mit etwa drei Jahren an meinen damaligen Stall. Sie war kopfscheu und viel zu dünn – der Vorbesitzer wollte sie zum Metzger geben. Da die neue Besitzerin weder Ahnung noch Interesse an einer Beziehung zu ihrem Pferd hatte, bekam ich sie bald als Reitbeteiligung.

 

Wir wuchsen zusammen und wurden schließlich durch unglückliche Umstände getrennt: Grundsätzlich kam ich nicht mit der Art der Besitzerin klar, Luna bei ihren gelegentlichen „Ritten“ mit Kandare zu traktieren, sie mit Stöcken über Bäche zu prügeln, etc. Einmal hat sie Luna so gescheucht, dass sie auf dem Schotter schwer stürzte. Damals habe ich ihre verdreckte Box gemistet, wo sie allein im Dunkeln stand, während das Sekret aus ihrer Wunde tropfte. Monatelang kümmerte sich niemand um das traumatisierte Pferd - Luna galt am Stall als gefährlich.

 

Doch ich wusste es besser: Nach mühevoller Arbeit hatte ich sie wieder in guten Zustand gebracht. Mit dem Ergebnis, dass die Besitzerin plötzlich auftauchte und genauso weitermachte wie zuvor. Das war einfach zu viel für mich. Ich redete gegen eine Wand – Luna war für sie schlichtweg ein Nutzobjekt und ich brach schweren Herzens den Kontakt ab. Doch in Gedanken war ich immer bei ihr.

Jahre später rief mich die Besitzerin an, ob ich Luna wieder reiten wollte. Der Anruf kam aus heiterem Himmel und ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich den Hof betrat.


Luna war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie ließ sich nicht fangen und schlug nach allen aus. Ihre ganze Ausstrahlung war unangenehm, angsteinflößend und unberechenbar. Niemand wagte sich an sie heran, das nächste Ziel wäre wohl wieder einmal der Metzger gewesen. Stück für Stück erarbeitete ich ihr Vertrauen zurück, wobei ich selbst fast aufgegeben hätte, als sie mich einmal mit dem Hinterhuf getroffen hat. Es lief immer besser und alle hatten die stille Erwartung, dass ich sie kaufen sollte.

 

Zu dem Zeitpunkt war ich aber schwanger und konnte mich nicht schnell genug entscheiden. In der Zeit als ich im Krankenhaus war, hatte ich eine (vermeintlich) nette Reitbeteiligung organisiert. Als ich drei Wochen später zum Stall kam fand ich heraus, dass Luna bei ihr stieg und buckelte, da sie mit Sporen, Ausbindern, Gewichten an den Beinen usw. traktiert wurde.Ich war mit den Nerven am Ende und die Besitzerin gewährte mir keine Bedenkzeit. Als Luna weg war, brach es mir das Herz.


Ich versank in tiefer Trauer und konnte an nichts anderes mehr denken.

Trauer ist gar kein Ausdruck für das, was ich in dem Moment empfand, als ich ihre Sachen aus dem Stall holte und einen Blick in die leere Box warf. Ihr Namensschild war abmontiert. Ich weinte mich leer, bis ich gar nichts mehr spürte. Alles schien freudlos und ich klammerte mich an der täglichen Routine fest. Am schlimmsten waren die Vorwürfe gegen mich selbst: Ich hatte Luna eine Tür geöffnet, die nun zugefallen war.

Wochen später rief mich Lunas neue Besitzerin an, ob ich Reitbeteiligung machen wolle. Sie hatte meine Nummer von der Vorbesitzerin, weil diese erzählt hatte, dass ich gut mir ihr klargekommen war.Irgendwie kam mir das alles komisch vor, aber ich streckte meine Hand nach diesem hoffnungsvollen Strohhalm aus und sagte zu.


Ich begab mich an den 20 Kilometer entfernten Hof und mir blieb die Spucke weg.
Es war ein Messie-Anwesen voller Draht, gelber Säcke und Scherben. Die Pferde standen auf dem Matschpaddock teils bis zu den Knien im Schlamm und fraßen verschimmeltes Heu, das mit Hundekot verunreinigt war. Luna stand inmitten der Pferde und sah mich so durchdringend an, dass ich zu Eis gefror. Da war Klage in ihren Augen. Wie sollte ihre naive Pferdeseele das auch begreifen?

 

In diesem Augenblick reifte in mir der Entschluss, sie dort rauszuholen.

Fast jeden Tag fuhr ich mit meinem Kleinkind die Strecke und ging mit ihr spazieren.


Einmal hatte sie einen Abszess. Der Tierarzt kam vorbei und sie haben Luna mit dem frischen Verband in den Schlamm geschickt. Ich konnte das nicht fassen, dem Arzt schien der Zustand des Hofes egal zu sein. Ich meldete den Hof auch beim Amt, aber nichts geschah. Die Pferde waren aber körperlich in relativ gutem Zustand.


Das ging erst mal so weiter und ich stellte fest, dass die neue Besitzerin kaum Geld und Zeit hatte. Wieder blieb alles an mir hängen und ich verausgabte mich in der vagen Hoffnung, sie doch zum Verkauf überreden zu können. Irgendwann konnte ich die Strecke nicht mehr schaffen und nachdem der Verkauf einige Male zur Debatte stand, aber nichts daraus wurde, brach ich den Kontakt ab. Einmal im Monat habe ich zwar nach dem Rechten gesehen, aber für mehr war ich mit Kind zu eingespannt.


Schließlich habe ich es endgültig aufgegeben und beschlossen, dass es für Luna besser wäre, wenn wir uns nicht mehr sehen. Ich konnte ihr ja doch nicht helfen.

Die neue Besitzerin hatte aus Geldnot mehrere Reitbeteiligungen organisiert und ich bekam mit, wie Luna in Panik in ein tiefes Schlammloch fiel. Ich wollte nicht schon wieder tatenlos mitansehen, wie Luna litt. Ich brauchte Abstand, das fraß mich auf.

Einige Zeit später kaufte ich mir ein eigenes Pferd als eine Art Trostpflaster für den großen Verlust. Trotzdem dachte ich immer wieder an Luna.

 

Ich hatte wirre Träume und zwei Jahre später im Winter ging es mir plötzlich sehr schlecht. Ich hatte das pochende Gefühl, jetzt unbedingt zu Lunas Stall fahren zu müssen. Als ich vor Erwartung zitternd dort ankam, war sie schon weg.

Die wenigen Pferde, die an diesem eisigen Wintertag auf dem vermüllten Anwesen standen, sahen nicht gut aus. Ich rief das Veterinäramt an und kontaktierte Lunas Besitzer. Sie hatten Luna in den nächstgelegenen Ort gebracht, nachdem die Pferde den Winter über hungern mussten. Die Mutter der Besitzerin teilte mir mit, dass Luna aufgrund von Schwangerschaft verkauft werden sollte. Ich setzte alle Hebel in Bewegung und sah meine Zeit gekommen. Der Hänger war organisiert und der Vertrag unterzeichnet. Für meine Stute wollte ich einen guten Platz suchen und in der Übergangszeit hätte ich die zwei Pferde von meinem Ersparten unterhalten.

 

Dann kam der Anruf einen Tag vor der geplanten Abholung: Sie hatten es sich anders überlegt. Luna sollte nun doch nicht verkauft werden... .

 

Meine Welt brach zusammen, ich wollte damit nichts mehr zu tun haben.

Am Stall meiner Stute war ich wegen meiner verrückten Aktion mit den zwei Pferden sowieso das Gespött. Keiner hat es wirklich verstanden.


Ich habe Luna ein paar mal darauf verzweifelt besucht, bis die Besitzerin das untersagte. Dann war es still um Luna. Mich beruhigte allein der Gedanke, dass sie nun wenigstens einen ordentlichen Stall hatte.

Die Zeit verstrich und ich bildete indes meine Stute aus.

 

Zwei Jahre später klingelte es an meiner Tür. Ich staunte nicht schlecht, als Lunas Besitzerin plötzlich in meiner Wohnung stand. Sie wollte Luna auf einmal doch hergeben, da sie mit dem Kind keine Zeit mehr hätte. Ich war wie gelähmt und traute dem ganzen nicht. Sollte ich meine Energie erneut in solch eine Aktion investieren - und damit alle zusammenhängenden Emotionen? Wieder ließ ich mich verleiten und kam zum Stall. Dort wurde Luna "vorgeritten": Pelham mit langen Anzügen auf Anschlag, bei jedem Schritt das knarzende Geräusch der Zähne auf dem scharfen Gebiss. Und ein verbogener Sattel, der auf Widerrist und Trapezmuskel drückte.

 

Ich versuchte mein Entsetzen so gut es ging zu verbergen, doch innerlich weinte ich. Dann wurde mir erzählt, dass Luna so frech wäre und man sie schon erfolglos "hart rangenommen" hätte. Diese Worte sickerten zähflüssig in meinen Kopf.

Luna war ein äußerst sensibles Pferd! Wie konnte man so ein feinfühliges Geschöpf bloß quälen? Ich musste handeln. Ohne auch nur den blassesten Schimmer, wie ich das alles bewerkstelligen sollte, sagte ich zu. Zu diesem Zeitpunkt war ich Studentin in Elternzeit, hatte nur mein Erspartes. Alles schien gut zu laufen, ich wollte Luna dort weg holen. Unterdes schaltete ich Anzeigen für den Verkauf meiner Stute und schickte Lunas Geschichte in der Hoffnung auf Spenden herum. Ich durfte sie nicht wieder verlieren, das war einfach seit dem ersten Tag unserer Begegnung vor sieben Jahren mein Pferd.

In einem Monat sollte ich sie holen. Während der Wartezeit lebte ich mit der täglichen Angst, dass es sich die Besitzerin doch wieder anders überlegen könnte. Alles musste schnell gehen. Ich hatte immer noch keine Unterstellmöglichkeit für sie und stieß durch Zufall auf einen Nebenjob bei drei Ponies, wo ich Luna kostenlos dazustellen konnte. Fehlte bloß noch der Hänger, doch den brauchten wir nicht. Ende April letzten Jahres habe ich sie 30 Kilometer zu Fuß an den neuen Stall gebracht – es hat insgesamt gut sieben Stunden gedauert.

 

Trotz anfänglicher Euphorie wurde ich bald auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Luna war verändert. Ließ sich weder anfassen noch fangen und schlug nach mir aus. Ständig blickte sie sich hektisch um, schnaubte und schien überhaupt nicht präsent. Ich hatte Angst um sie.

 

Doch erst einmal ließ ich sie in Ruhe. Es standen noch andere Dinge an. Mit Hilfe von Karin fand ich eine neue Besitzerin für meine Stute (siehe Erfahrungsbericht Chihiro) und konnte mich ab diesem Zeitpunkt intensiv mit Luna befassen.

 

Sie war jedoch ein ganz anderes Kaliber, das war mir von Anfang an bewusst.

Luna war mir fremd geworden, ich fand keinen Zugang zu ihr und vermisste unsere frühere Verbundenheit. Es war, als hätte man sie zerbrochen. Und ich musste das wieder flicken, schließlich trug ich ein Stück weit Mitschuld an ihrem Schicksal.

Was macht man mit einem Pferd, das im Leben nur Enttäuschung erleben musste und daraufhin mit der Menschheit abgeschlossen hat?

 

Diese Frage hat mich wahrlich an meine Grenzen gebracht und ich zweifelte an meiner Entscheidung. Also kontaktierte ich Karin. Obwohl sie mir schon mit dem anderen Pferd geholfen hatte, glaubte ich insgeheim nicht daran. Luna war viel schwieriger und in sich gekehrt, ich erhoffte mir nicht allzu viel von dem Gespräch.

Was Karin schlussendlich an die Oberfläche brachte, hat mich im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen: Das intensive Gespräch mit ihr beschäftigte mich wochenlang.

 

Besonders ihre unvermittelte Frage: „Was hat man denn mit Luna gemacht, dass sie so fühlt – wie kann so etwas überhaupt passieren?“ schockierte mich. Vor allem führte sie mir die Verantwortung für solch eine traumatisierte Pferdeseele vor Augen. Nach all dem war ich Lunas einziger Halt im Leben.

 

Sämtliche Erinnerungen kamen in mir hoch und Karin beschrieb genau das, wovor ich mich gefürchtet hatte: In Luna brodelte die Frage, warum ich sie damals nicht behalten hatte. Und wir klärten noch viele andere Dinge, die wirklich eins zu eins auf Lunas Vergangenheit und die aktuelle Situation passten.

 

Heute blicke ich voller Stolz auf das zurück, was Luna und ich geschafft haben.

Und niemand wird uns das je nehmen. Sieben Jahre hat es insgesamt gedauert bis wir zueinander fanden, doch das Warten hat sich gelohnt: Luna tobt nun ausgelassen über die Wiesen. Sie darf Pferd sein - und das gemeinsam mit ihrem Herzensmenschen. Ich weiß, sie gibt alles für mich und genauso ist es umgekehrt.

Endlich ist ihr Leben frei von Zwang und Gewalt. Die Tierkommunikation hat unser gestörtes Verhältnis zurecht gerückt und ich fühle mich ihr verbundener als je zuvor.

 

Worte können nicht ausdrücken, welchen Dank ich für Karins Arbeit empfinde.

Sie ist menschlich, hilfsbereit und eine absolut feinfühlige Vertrauensperson.

 

Vielen, vielen Dank, dass Du uns auf diesem schwierigen Weg begleitet hast, Karin!

Luna ist wieder das stolze Pferd, als was ich sie kennen gelernt habe.

Sie so zu sehen erfüllt mich jeden Tag auf´s neue mit tiefer Dankbarkeit.

 

Conni und Luna


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